Zeit für den Geist
Thomas Röttcher - Curriculum Vitae

Haben Sie sich schon mal die Frage gestellt – sofern Sie kein Parteimitglied sind, wo sie politisch zu verorten wären? Oder auch, wo Sie von anderen verortet werden?

Gelten Sie als Rechter, weil Sie die demokratieferne oder gar demokratiefeindliche Entwicklung innerhalb der EU nicht gutheißen können?

Sind Sie “Rechts”, wenn Sie sich für den Erhalt der Souveränität stark machen? Oder die D-Mark (oder eine andere nationale Währung) zurückhaben wollen? Oder anlässlich internationaler Fußballturniere ein Deutschlandfähnchen am Auto mitführen?

Sind Sie ein Rechter, weil Sie auf Gefahren einer Überfremdung und den Verlust kultureller Werte, wenn nicht der eigenen Identität hinweisen? Weil Sie die deutsche Sprache pflegen und mit “Gender Mainstreaming” nichts am Hut haben?

Und wenn Sie staatliche Eingriffe bzw. Regulierung aller Art nicht gutheißen möchten, was sind Sie dann? Ein Liberaler oder Libertärer?

Wenn Sie die Flagge der Freiheit hochhalten und gegen jede Form von Überwachung sind, sind Sie dann auch ein Libertärer? Oder Pirat?

Was sind Sie, wenn Sie heimische Produkte und Dienstleistungen anderen vorziehen und auf die Gefahren der Globalisierung aufmerksam machen? Ein Grüner? Ein Linker?

Sind Sie ein Linker, wenn Sie sich gegen Kriegshetze und für Frieden einsetzen? Ein Linker auch, wenn Sie darauf hinweisen, dass die Schere zwischen Arm und Reich dramatisch weiter aufgeht, sich gegen Ausbeutung und die Macht der Banken wehren?

Das (bedingungslose) Grundeinkommen propagieren oder für irgendeine andere Art von Grundsicherung sind, bedeutet das auch, “Links” (oder neuerdings Pirat) zu sein?

Sind Sie automatisch ein Linker, sobald Sie für mehr Gerechtigkeit und weniger Benachteiligung auf die Straße gehen?

Und wenn Sie auf Ihre verbrieften Grundrechte pochen … – ja, was sind Sie dann?

Links, Rechts, Mitte – spielt das überhaupt noch eine Rolle? Ist dieses Schema sinnstiftend?

Auf parteipolitischer Ebene wurde das Denken in diesen Kategorien doch längst ad absurdum geführt. Die großen Parteien sind in ihren Programmen austauschbar geworden. Es hat den Anschein, als dienten sie gleichsam alle einer einzigen Agenda. Und disputierten in ihrer opportunen Pseudogegensätzlichkeit nur der Theatralik halber.

Die Links-Rechts-Einordnung vergibt Etiketten, die zur Diskreditierung, Polarisierung und Angstmache dienen. Die letzte NPD-Debatte illustrierte dies wieder einmal bestens.

Beliebt ist die Kategorisierung auch, um von anderem Themen abzulenken, Bürger einzuschüchtern bzw. deren Kreuz in ein anderes Kästchen hineinzunötigen: “Wenn ihr uns nicht wählt, dann gebt ihr einer radikalen Partei die Stimme.”

Radikal. Für mich sind alle etablierten Parteien in gewisser Weise radikal: Sie stellen den Fraktionszwangs über die Gewissensfrage der Abgeordneten und haben mit ihren Seilschaften nahezu alle Instanzen der drei Gewalten “durchseucht” und damit deren Trennung quasi aufgehoben, wie dies zeitgeist-Autorin Friederike Beck in einem Beitrag sehr anschaulich dargestellt hatte.

Vielleicht ist die Parteienlandschaft sogar hauptverantwortlich für den Niedergang der westlichen Demokratien. Sicher, sie wird sich kaum abschaffen lassen, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Veränderung lässt sich aber auch anders bewirken. Die Piraten haben vorgemacht, wie die Parteienoligarchie gestört und das bestehende Gefüge durcheinandergewirbelt werden kann.

Die letztens erfolgte Abschaffung der 5-%-Hürde auf europäischer Ebene könnte das ihrige dazu tun. Wann fällt diese überkommene Unsinnsklausel auch hierzulande? Ein Autor auf Zeit online meinte: demnächst.

Wir werden sehen. Die nächsten Wahlen kommen bestimmt.

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2 Kommentare zu „Von Links-Rechts-Totschlägern und der Parteienradikalität“

  • politropolis.de says:

    Ein guter Beitrag, dessen Inhalt ich nur bestätigen kann. Wer den Linken zu rechts ist, den Konservativen zu links und nicht in ein Raster passt, ist möglicherweise für die Politik wichtiger und für die gesellschaftliche Entwicklung positiver, als die herkömmlichen, austauschbaren Funktionäre der etablierten Parteien. Bis jemand mit gesundem Menschenverstand und Engagement in eine Position gelangt ist, in der er etwas bewirken könnte, ist von beidem meistens nichts mehr übrig. Es gottseidank viele Menschen, die das erkannt haben. Leider sind so viele an Politik desinteressiert, dass sie noch nicht einmal ihr Wahlrecht nutzen, obwohl mittlerweile mehr auf dem Zettel stehen als die üblichen Verdächtigen. Und bei der Kommunalwahl kann man völlig unabhängig von Partei-Listen Personen wählen, die man für geeignet hält. “Entdecke die Möglichkeiten”… Viele Grüße Udo

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