Frankfurt am Main. Neulich Nacht begab ich mich auf eine Sight-Seeing-Tour durchs dortige “Occupy-Camp”. Moment, Sie wissen nicht, was die Occupy-Bewegung ist? Im Ernst? Dann sind Sie nicht allein. Ich musste dieses Aufbruchsphänomen neulich sogar einer Soziologie(!)-Studentin erklären. Sie las sich gleich im Netz ein und meinte dann lapidar: “Hört sich nicht wirklich revolutionär an.” Revolutionär. Soll es das überhaupt sein?
Zurück zu meiner Führung durchs Camp. Überall beschriftete Zettel und Plakate, mit verschiedensten mehr oder weniger weisen Sprüchen und Slogans aller ideologischer Couleur. Ein freundlicher Occupyler, sich selbst als Anarchist bezeichnend, sprach mich an und plauderte gleich aus dem Eingemachten. Über 100 Menschen zelteten dort Tag und Nacht, fast unmittelbar unter dem beleuchteten €-Denkmal, ganz in der Nähe des Bankenviertels. Manche kämen auch nur abends vorbei, wieder andere ausschließlich am Wochenende. Je nach Zeit halt, und Lust.
Gerade würden die Zelte winterfest gemacht – man richtet sich also auf ein länger andauerndes Abenteuer ein. Die Erlaubnis übrigens, sich dort aufhalten zu dürfen, würde – so hieß es – von der Stadt jeweils 14-tägig verlängert. Schon ver-rückt, die Welt: Früher besetzte man wild Häuser, heute besatzt man mit Genehmigung in Zelten …
Neben den Wohnzelten gibt es u. a. ein Versammlungszelt, in dem laufend Workshops stattfinden, dann ein Kreativzelt – und, was natürlich nicht fehlen darf: ein EDV-Zelt. Dort pflege man nicht nur die Website des Camps, auch W-Lan braucht’s vor Ort – und auf’s Zocken will man erst recht nicht verzichten. Kürzlich sei so ein Spinner aufgetaucht und hätte ein Notebook entwendet. Sicher ein verarmter Bänker. Dass die sich jetzt schon bei Widerständlern bedienen müssen. Traurige Zeiten.
Die Stadt jedenfalls macht ihren Reibach mit den Campern. Die mühsam zusammengetragenen Euros gehen für Strom drauf (EDV!), fünf Klohäuschen und vermutlich noch für allerlei andere Gebühren. Der Haftung wegen hätte man nun einen Verein gegründet. Ein kleiner Skandal wurde auch aufgedeckt: Es stellte sich nämlich heraus, dass ein größeres Zelt, von dem man dachte, es sei privat finanziert, von der Linkspartei gesponsert wurde. Das ginge ja gar nicht. Spenden hingegen akzeptiere man gerne, auch von Parteien. Achso.
Jedenfalls waren im Camp alle zuvorkommend. Einer klimperte auf der Gitarre, andere sangen. Es hatte fast schon etwas von Lagerfeuerromantik ohne Lagerfeuer (offene Feuerstellen hat die Stadt untersagt). Man bot mir in der improvisierten Zeltküche sogar einen Tee an. Ich musste dankend ablehnen, denn ohne Feuer war es mir dann doch bald zu kalt.
Beim Gehen fiel mein Blick auf ein noch eingeschweißtes Telefonbuch, das der Briefträger am Campeingang abgelegt hatte. Zustelladresse Occupy Frankfurt. Business as usual eben.
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