Zeit für den Geist
Thomas Röttcher - Curriculum Vitae

Seit vergangenen Sonntag hat sich das mediale Interesse an der Piratenpartei unheimlich potenziert. Zuvor noch wurde sie als Kleinstpartei weitestgehend übersehen, teils gar verschmäht oder verlacht. Seit die Piraten mit 8,9 % der Wählerstimmen ins Berliner Abgeordnetenhaus eingezogen sind, und das gleich mit allen 15 Kandidaten, sieht die Sache anders aus. Die neuen Gesichter samt Biografien gehen durch die Presse. Sogar in Talkshows sind die “Netzfreibeuter” mittlerweile begehrt.

Die Berlinwahl war der erste größere Erfolg seit der Gründung der Piratenpartei 2006, sieht man mal von verschiedenen Kommunalwahlen ab. Doch weshalb der plötzliche Run der Wähler? War es die verstärkte Wahlwerbung im Vorfeld? Oder sind es (späte) Früchte der rasant gestiegenen Mitgliederzahl (mittlerweile rund 12.000, was die Piraten zur siebtgrößten Partei hinter den Grünen macht)? Oder war die Zeit ganz einfach nur reif?

Wie dem auch sei: Es war ein kluger Schachzug der Piraten, das Grundeinkommen und die Direkte Demokratie in ihr Parteiprogramm aufzunehmen. Denn damit vereinten sie drei große Interessengruppen in sich, nämlich zum einen jene, die motiviert sind von der Sehnsucht nach Selbstbestimmung (Netzfreiheit), zum zweiten die, die nach mehr (politischer) Mitbestimmung streben und schließlich diejenigen, welche sich eine Grundsicherung jenseits des entwürdigenden Hartz IV wünschen. Über diese “Aufbruchsbewegungen” hatte ich auch im Interview, das die “Violetten” unlängst mit mir führten, berichtet.

Trotz “Graswurzel” und anfänglicher Monothematik: Die Piraten als “Sprösslinge” der Grünen zu bezeichnen, halte ich für verfehlt. Die Grünen hatten sich meines Wissens nie in dem Maße für Bürgerrechte eingesetzt – und heute schon gleich gar nicht mehr. Sicher, die Abgeordnetenneulinge müssen – wie die Grünen seinerzeit auch – erst noch lernen, wie die große Politik funktioniert. Und natürlich besteht auch bei dieser Partei die Gefahr der Unterwanderung, dass sie korrumpiert, vom System verbogen wird oder im Laufe der Zeit ihre heutigen Werte aus den Augen verliert.

Doch die Chancen überwiegen: Anstatt auf die junge Partei einzuprügeln, sollte man vielmehr ihren Idealismus stärken. Schließlich hat jetzt eine neue Partei die 5-Prozent-Hürde geschafft, jene Hürde, welche die etablierten Parteien bisher vor Veränderung und Konkurrenz “schützte”. Nun wird es ernst. Denn die Neuen “rauben” den Alteingesessenen 15 Plätze. Oder anders ausgedrückt: 15 Unverbrauchte sind neu im Spiel.

Ängste, was diese “Chaoten”, “Nerds” und “Geeks” alles für Unfug anrichten könnten, wenn man sie nur an die Macht ließe, sind doch gänzlich unbegründet. Man wirft ihnen vor, sie hätten kein Programm, was die Wirtschaft und ihre Krise angeht. Mal ehrlich: Lieber kein Programm als ein unsinniges. Die Piraten sind doch ohnehin weit weg davon, eine Regierungspartei zu werden. Doch es ist gut, dass sie nun mitreden können und auch gehört werden. Und zwar dort, wo es um ihre Grundkompetenz geht, sprich in Sachen Privatsphäre, Anti-Überwachung, Anti-Zensur etc. Im Berliner Abgeordnetenhaus sitzen jetzt 15 “Informanten” – und das kann in jedem Fall kein Fehler sein.

Und es ist ein Signal: Als die Piratenpartei in Schweden innert kürzester Zeit auf über 50.000 Mitglieder anwuchs, schüchterte dies die Regierenden derart ein, dass sie selbst begannen, sich derer Themen anzunehmen. So verzichtete man u. a. 2010 darauf, ein Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zu verabschieden, auch aus Angst vor der Piratenpartei.

Wir dürfen also gespannt sein, welche Wellen “das Entern des Berliner Abgeordnetenhauses” noch schlagen wird, gerade auch im Vorausblick auf die kommende Bundestagswahl.

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7 Kommentare zu „Warum die Piraten ins Abgeordnetenhaus gehören – nicht nur in Berlin“

  • sadhu says:

    RamRam

    schön … gefällt mir ihr text …. ich würde da sogar noch etwas weiter gehen … gerade das fehlen solch durchtrainierter parteiprogramme die alleinig den sinn haben den Bürger zu entmündigen beinhaltet die chance auf einen wandel ….
    die plausiblen erklärungen politischer gutschwätzer haben uns eine suppe eingebrockt die sich niemand mehr traut auszulöffeln …
    ich erwarte mir von den piraten den anstoss für einen wechsel der schon so lange überfällig ist

  • Lux says:

    Bisher habe ich von den Piraten nichts weiter vernommen als Phrasen.
    Ein klares und vielschichtiges Parteiprogramm dieser Partei kenne ich nicht.
    Ich bin dieser Partei gegenüber sehr skeptisch, weil ich in ihr nur politische Tagträumer erkennen kann.

    Was die Grünen betrifft – und ich bin garantiert kein Sympathisant dieser Mischpoke – so hatten diese sich sehr wohl für Bürgerrechte eingesetzt. Bis zum Jahr 1991, als Fischer, Cohn-Bendit & Co. die macht in der Partei vollständig übernahmen.
    Man sollte die Piraten nicht mit den Grünen vor 1991 vergleichen. Damit würde man den Grünen aus der Anfangsphase dieser Partei unrecht tun. Denn bei den Grünen wirkten politisch erfahrene Menschen mit bzw. ihre Funktionäre hatten politischen Sachverstand vorzuweisen. Das ist beim Großteil der Piraten überhaupt nicht der Fall.

    Um mit den Worten Brechts abzuschließen:
    Jetzt haben wir fünfzehn weitere Säue am Trog kleben. Ob sie die Steuergelder wert sind, wird sich zeigen.

  • Selbstdenker says:

    Ich schätze mal so ca. kurz vor der nächsten Bundestagswahl
    sind sie von den BILDERBERGERN gekauft worden.
    Zuvor wurden die PIRATEN vom Verfassungsschutz unterwandert.
    Diese neue “Strömung”, die sich um Bürgerrechte und Demokratie kümmert, ist für die globale Machtelite nur hinderlich. Sie ist beim zügigen Aufbau der NWO sogar im Wege. Deshalb muss sie (diese “neumodische Bewegung”) entsprechend “kanalisiert” werden.
    Bis dahin lautet das Motto: Brot und Spiele.

  • Dr. Klaus Miehling says:

    Gibt es nicht zu denken, dass sich diese Partei nach Schwerverbrechern benannt hat?
    Was diese Leute wollen, ist die Anarchie: Grenzenlose Freiheit – wobei sie übersehen, dass die Freiheit der einen die Unfreiheit der anderen ist. Wir brauchen weiterhin Gesetze zum Schutz der Rechte jedes Einzelnen, und wir brauchen einen starken Staat, der die Beachtung dieser Gesetze durchsetzen kann und will.
    Die etablierten Parteien haben uns immer weiter in den Schuldenstaat hineingetrieben, am Werteverfall und an der Erosion des Rechtsbewusstseins mitgearbeitet. Die “Piraten” würden das aber nicht anders machen, sondern genauso; nur noch konsequenter.
    Ja, wir brauchen neue Parteien, die in der Lage sind, unsere Probleme zu lösen. Vielleicht brauchen wir auch ein neues demokratisches System, das ohne Parteien auskommt. Aber die “Piraten” brauchen wir nicht.

  • sadhu says:

    RamRam herr miehling

    gut gesagt … da haben sie natürlich in gewisser weise recht … stellt sich auch die frage was der mensch in wirklichkeit braucht …. wenn wir darauf eine echte Antwort gefunden haben …haben wir es hinter uns …. bis dahin benötigen wir hin und wieder Indikatoren in form von bushens merkels papstens und natürlich auch die piraten … die in meinen augen weit weniger schwerverbrecher sind als wie bei uns sehr angesehene zetigenossen z.b. ein Herr ackermann … mal schaun was kommt … mal schaun was jeder im einzelnen zu einem besseren morgen beisteuern kann … einen schönen abend

  • Erich Goergens says:

    Frischer Wind im Berliner Abgeordnetenhaus!

    Gut so! Farblos und lustlos schleppen sich die meisten Politiker durch den Alltag. Bereits alles und besser wissend, auf die nächste Chance zum Nachrücken spekulierend. So werden Seilschaften gegründet, gepflegt und manchmal auch verwünscht. Der große Wurf darf weder gedacht noch angestrebt werden. Wo es lang geht, sagt die Partei. Eigentlich ist alles schon vorgedacht. Neues ist nicht nur sinnlos, es stört sogar die Kreise. Dieses Verhalten ist gefährlich und möglichst zu unterlassen.

    Weil dies schon lange so ist, muss frischer Wind ins Berliner Abgeordnetenhaus und wirklich “Neue” (das sind momentan die Piraten) dort hin!

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