Zeit für den Geist
Thomas Röttcher - Curriculum Vitae

1984 war bereits vorgestern. Selbst als noch so großer Optimist lässt sich die Sache nicht mehr schön reden. Die erste Internetzensur ist mit dem Von-der-Leyenschen-Zugangserschwerungsgesetz (oder wie mal jemand treffender gesagt hat: “Zugangserschleichungsgesetz”) in Deutschland nun Fakt – und so mancher Politiker hat bereits durchblicken lassen, dass sich dies künftig wohl nicht allein auf das Thema Kinderpornographie begrenzen wird.

Wie dramatisch es (weltweit) inzwischen um die Themen Zensur und Überwachung bestellt ist, hat der “Guardian” in einer Karte zusammengestellt. Auf China oder den Iran brauchen wir also nicht mehr mit dem Finger zeigen.

Doch eigentlich ist es noch schlimmer. Denn unser Innenminister, der so oft als Buhmann herhalten muss, hat Helfer. Viele Helfer. Manche, die äußeren Helfer, können bei genauerem Hinsehen recht schnell enttarnt werden. Nachfolgend vier Beispiele solcherlei Verdächtiger, ich will es mal als “Zensurlobbyismus” bezeichnen:

  • Der Ehemann von Martina Krogmann, CDU-Wortführerin in der ganzen Debatte, ist stellvertretender Chefredakteur der BILD-Zeitung. Dass BILD-Online kritische Stimmen gegen die Zensurbestrebungen ausgeblendet hat, war natürlich Zufall.
  • Thomas Strobl, einer derjenigen, der die Zensur gern ausweiten würde, z. B. auf “Killerspiele”, ist der Schwiegersohn von Innenminister Schäuble.
  • Manch einer wunderte sich vielleicht, warum unser Wirtschaftsminister so abfällig reagierte, als er auf die Petition gegen die Internetzensur angesprochen wurde (“Das macht mich schon sehr betroffen, wenn pauschal der Eindruck entstehen sollte, dass es Menschen gibt, die sich gegen die Sperrung von kinderpornographischen Inhalten sträuben.”). Weiß man hingegen, dass dessen Ehefrau, Stefanie zu Guttenberg, Präsidentin des deutschen Ablegers von “Innocence in Danger” ist, einem Verein, der vordringlich das Internet als Bösewicht hinstellen will (herausgefunden von ZeitGeist-Autorin Friederike Beck), geht vielleicht ein Licht auf.
  • Die jüngste Allensbachumfrage, auf die sich Familienministerin von der Leyen gerne stützt und welche suggeriert, dass 91 % der Deutschen für Internetzensur seien, wurde von der Bundesregierung in Auftrag gegeben (und bezahlt). Noch Fragen?

Jenseits der Vetternwirtschaft stecken andere Helfer aber auch in uns, in sehr vielen von uns, und zwar ohne dass wir es wissen. Denn die fleissigsten Zuarbeiter Schäubles sind die Mitglieder sozialer Netzwerke wie MySpace, Facebook, MeinVz und wie sie alle heißen oder auch Twitter, wo sich die Teilnehmer höchstfreiwillig exponieren. Leichter gehts nimmer, private, persönliche und intime Daten abzugreifen.

Doch gibt es umgekehrt auch Positives zu vermelden. So haben sich beispielsweise viele der “anoymen” Petenten gegen die Internetzensur öffentlich gemacht im Rahmen der Aktion “Gib Deiner Stimme ein Gesicht”. Ein Blick auf die Gesichter zeigt: Es sind Menschen wie Du und ich, welche die Entmündigung, die Beschneidung von Freiheitsrechten, nicht mehr stillschweigend dulden wollen.

Dann gibt es Initiativen wie den Foebud e. V.,  die sich bemühen, dem zunehmenden Überwachungstrend entgegensteuern. So etwa mit den “BigBrotherAwards”, die Oscars für Überwachung- und Datenschutzsünder. Bis 15. Juli können noch entsprechende Vorschläge eingereicht werden.

Oder die “Piraten”, über die ich an anderer Stelle schon berichtet hatte und die gestern und heute ihren ersten großen Bundesparteitag in Hamburg abhalten. Der Eintritt des ehemaliger SPD-lers Jörg Tauss hatte der noch jungen Piratenpartei zusätzliche mediale Aufmerksamkeit beschert. Sicherlich auch deshalb gelang es innert weniger Tage, die Zulassung zur Bundestagswahl (in fast allen Bundesländern) festzumachen. Die Mitgliederzahl schoss auf inzwischen mehr als 3.300, Tendenz weiter steigend – der Parteivorstand hatte vor kurzem noch auf 2.000 bis zum Jahresende gehofft.

“Sie werden sich noch wünschen, wir wären politikverdrossen”, titelte jüngst selbst SPIEGEL Online, der wie BILD die ganze Diskussion um die Internetzensur bislang weitestgehend ignoriert hatte, über die Kampfansage der Netzaktivisten und die Ratlosigkeit der etablierten Parteien. Im September sind Wahlen. Wir werden sehen – und staunen.


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1 Kommentar zu „Schäubles (heimliche) Helfer“

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