Mit einer “gefälschten” ZEIT-Nummer hat am 21. März das globalisierungskritische Netzwerk Attac für Aufsehen gesorgt. Eigenen Angaben zufolge wurden 150.000 selbsterstellte Exemplare der Zeitung in 90 deutschen Städten verteilt. In der auf den 1. Mai 2010 vordatierten Zeitungsausgabe wird antizipiert und visioniert, was hierzulande und in der Welt bis dahin alles verbessert werden könnte und sollte. Selbst die Anzeigenwerbung wurde kreativ umgestaltet. Eine ähnliche Aktion hatte die Aktivistengruppe “The Yes Men” im Herbst letzten Jahres mit der “New York Times” durchgeführt. Allerdings war diese nicht so leicht als Fälschung zu entlarven.
Attacs ZEIT dagegen hat ein “verräterisches” Impressum und ist vom Format her etwas kleiner als das Original. Auch gehen die Inhalte deutlich über den üblichen ZEIT-Tenor hinaus: Von einem Gesetzespaket ist da die Rede, dass den Einfluss der Lobbyisten beschränken soll, vom Ende der Nato (“Unsere Welt braucht kein Miltär”), der Abschaffung der Massentierhaltung, einer Absage an die Gentechnik und dem Besiegen des Hungers in der Welt (Jutta Sundermann, Mitgestalterin dieser Attac-Kampagne, hatte in zeitgeist-Heft 1-2009 ausführlich über die Machenschaften von Monsanto & Co. berichtet).
Auf den ersten Blick also eine gute Sache – und als Augenöffner allemal besser als die Geiselnahme eines Top-Managers, was derzeit in Frankreich Schule zu machen scheint (erst bei einem Arbeiteraufstand in einer SONY-Fabrik in Bordeaux und nun in einem 3M-Werk bei Orléans …).
Bei einem zweiten Blick auf die fingierte ZEIT-Ausgabe vermisse ich allerdings Schlagzeilen wie “Expertenkommission der Bundesregierung bestätigt Machbarkeit des Grundeinkommens”, angeregt durch die jüngste Petition zum Thema, oder “Durch Finanzkrise geläutert: EZB verlangt Erhöhung des Eigenkapitals bei Privatbanken” (um so der fast willkürlichen Geldschöpfung einen Riegel vorzuschieben) bzw. “Zinseszins als Ursache der wachsenden Massenverarmung erkannt”. Erst dann wären zumindest zwei Grundübel der Geldwirtschaft an der Wurzel gepackt. Stattdessen fordert Attac ein umstrittenes Weltgeld …
Auch hinsichtlich des “Klimaschutzes” dockt Attac undifferenziert an das Gore’sche Global-Warming-Horrorszenario an und will die “Hauptverursacher des Klimawandels” zur Kasse bitten. Gleichzeitig werden unkritisch erneuerbare Energien promotet. Hätten sich die Macher im Vorfeld mal besser die aktuelle zeitgeist-Printausgabe genauer angeschaut. Gerade hier wäre tiefgründige Recherche angebracht gewesen. Von dem viel wichtigeren Umwelt- und Artenschutz sowie einem Stopp der Veräußerung öffentlichen Eigentum (Cross-Border-Leasing lässt grüßen) liest man kein Wort. Gerade jetzt, wo auch der deutsche Wald dran glauben soll …
In einem Punkt aber liegt Attac mit seiner Zeitungskampagne, die einer Verlagssprecherin der ZEIT zufolge wohl keine rechtlichen Konsequenzen haben wird, unbestrittenermaßen richtig: Wenn wir uns bei der Lösung drängender Probleme auf unsere Politiker verlassen, sind wir verlassen. Oder frei nach Einstein: Probleme können niemals mit derselben Denkweise gelöst werden, durch die sie entstanden sind.
In diesem Sinne plant Attac schon die nächste Aktion, diesmal anlässlich des Finanzgipfels der G20. Das Motto: “Wir zahlen nicht für eure Krise! Für eine solidarische Gesellschaft.”
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