Zeit für den Geist
Thomas Röttcher - Curriculum Vitae

Archiv für Juni 2012

Zunächst waren es in Deutschland die Finanzen, die am 29. Juni 2012 der staatlichen Souveränität entrissen wurden. An jenem Tag wurde der ESM (Europäischer Stabilitätsmechanismus, ugs. dauerhafter Rettungsschirm mit unbegrenzter Haftung) sowie der sogenannte “Fiskalpakt” vom Parlament durchgewunken. Und das, obwohl die Abgeordneten die hunderte von Seiten langen Bestimmungen, abgefasst in kompliziertestem “Angelsächsisch”, erst kurz davor zur Einsicht erhalten hatten. Dieses Prozedere kannte man schon vom Lissabon-Vertrag.

Die Mehrheit im Bundestag kam zustande, weil sich die großen Parteien in einem schrägen Deal einigten (“ESM gegen Finanzmarktsteuer”), unfassbar im Nachhinein, wie billig die Verfassung verhökert wurde. Geschickterweise hatte man es so eingefädelt, vor der Abstimmung eine Zweidrittelmehrheit zu fordern (erstaunlich, wie sicher sich die ESM-Befürworter fühlen konnten), um verfassungsrechtlichen Bedenken im Vorfeld aus dem Weg zu gehen.

Auch der Bundesrat ließ sich nicht lange um Zustimmung bitten. Als “Gegengeschäft” wurde den Ministerpräsidenten eine Entlastung der Kommunen in Milliardenhöhe zugesagt. Verhandlungspraktiken, die so eher auf einen Basar gehört hätten.

Wie von manchem Staatsrechtler prophezeit, wurden selbst vom Bundesverfassungsgericht – nach anfänglichem Hadern – keine größeren Bedenken festgestellt (Was hätte es auch anders tun können? Das Gericht war mit der Tragweite der Entscheidung hoffungslos überfordert. Ironischerweise hatte es sich damit selber abgeschafft, ebenso wie zuvor das Parlament.) Zuvor hatte der Bundespräsident ohne Zögern unterzeichnet, so dass der ESM fristgerecht am 9. Juli 2012 in Kraft treten konnte und damit das Ende der Demokratie in Deutschland besiegelt war.

Widerstand zeigte sich, man mag es im Rückblick kaum glauben, auch außerparteilich nur in geringem Maße – mal abgesehen von einigen Petitionen, Demonstrationen, kuriosen Aktionen (wie das Katapultieren von Grundgesetzen) und Klageandrohungen beim Verfassungsgericht. Die Menschen waren von der Fußballeuropameisterschaft fest eingenommen (Sendeanstalten hatten sich nur in oberflächlichen Andeutungen verloren, bis es schließlich zu spät war). Die Masse der Bürger war seinerzeit ohnehin, stundein stundaus, damit beschäftigt, sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Aus der Geschichte nichts gelernt: Brot und Spiele hatten schon dem Alten Rom den Untergang beschert …

Schon früh ertönte der Ruf nach einer neuen Verfassung. Diesen Beitrag weiterlesen »

Die Ereignisse scheinen sich zu überschlagen, die “Staatsaffäre” um den ESM und den Fiskalpakt nehmen Geschwindigkeit auf. Widerstand zeigt sich nicht mehr nur auf der Straße und in der Bloggerlandschaft.

Zunächst hatte das Bundesverfassungsgericht das Mitspracherecht des Bundestags gestärkt (auf Veranlassung der Grünen). Die Abgeordneten seien über den geplanten permanenten Euro-Rettungsschirm nicht hinreichend informiert worden.

Dann erbaten sich die Verfassungsrichter bei Herrn Gauck mehr Zeit zur Prüfung der Gesetzesvorlage. Der Focus schreibt: “Offenbar wollte der Bundespräsident auf Drängen der Kanzlerin die einschlägigen Gesetze und Ratifikationserklärungen noch am Abend des 29. Juni, unmittelbar nach der Abstimmung im Bundestag und Bundesrat, unterzeichnen.” Die Fraktion der Linken hatte entsprechende Eilanträge beim Bundesverfassungsgericht gestellt.

Der Staatsrechtler Christoph Degenhart und die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) kündigten zudem eine Sammelklage an, als Prozessbevollmächtige von “Mehr Demokratie e. V.”, sofern der ESM in Kraft trete. In ihrem Bündnis “Europa braucht mehr Demokratie” sollen rund 12.000 Verfassungsklagen gebündelt werden.

Auch der Mittelstand wird aktiv. Diesen Beitrag weiterlesen »

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